Pflege durch junge Menschen – Young Carer

Als “Young Carer” werden Kinder und Jugendliche bezeichnet, die in ihrem Zuhause in pflegerische Tätigkeiten eingebunden sind.  Diese Situation bestimmt häufig den Tagesablauf der Young Carer, sodass kaum Zeit für schulische Aufgaben oder außerschulische Freizeitaktivitäten bleibt. Mangels professioneller Betreuungsangebote bleiben die jungen Pflegenden häufig allein in der schwierigen Situation und können sich niemandem außerhalb der Familie anvertrauen. Aus diesem belastenden Zustand resultieren in einigen Fällen auch psychische Erkrankungen bei den Jugendlichen.

In Deutschland leben ca. 470.000 Young Carer, genaue Zahlen für das Bundesland Bayern liegen nicht vor. Die Schätzungen gehen von zwischen 80.000 und 170.000 jungen Pflegenden im Freistaat aus. Ein umfassendes Informations- oder Betreuungsangebot gibt es bislang nicht.
Im vergangenen Jahr wandte sich die 14-Jährige betroffene Lena Rebhan mit der Thematik an die Öffentlichkeit. Lana, die zu Hause in die Pflege ihres Vaters eingebunden ist, befragte im Rahmen einer Schularbeit 2200 Politiker*innen aus Landtagen und Bundestag zum Thema Young Carer. So kamen Lana und ich in Kontakt und Lana wurde im April 2019 eingeladen, im Sozialausschuss des Bayerischen Landtags im Rahmen eines Fachgesprächs vorzutragen. Lana fühlte sich in ihrer Situation häufig allein gelassen und gründete eine Online-Informationsseite, welche sie auch heute noch betreibt.

Lana legte in dem Fachgespräch vor allem Wert auf die notwendige Sensibilisierung der Gesellschaft. Als konkrete Maßnahmen nannte sie die Notwendigkeit, Schulpsycholog*innen und Sozialarbeiter*innen im Bereich Young Carers weiterzubilden und konkrete Ansprechpartner*innen für Betroffene festzulegen. Zudem ging sie auf Möglichkeiten der Entlastung der Jugendlichen ein, beispielsweise auf die Notwendigkeit, eine Entlastungsmöglichkeit für Kinder der Altersgruppe 12-16 zu schaffen, die keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Haushaltshilfe haben.
An dem Fachgespräch nahm auch Ralph Knüttel, unterfränkischer Regionalvorstand der Johanniter, teil. Er ging unter anderem auf die Situation der Young Carer in Österreich ein, wo die staatlichen Stellen bereits für das Problem sensibilisiert sind. Inzwischen habe man sich an den Programmen des Nachbarlands orientiert und beispielsweise eine Website eingeführt, welche Informationen für Young Carer bereitstelle.

Resultierend aus dem sehr eindrücklichen Fachgespräch entwickelte ich fünf Anträge (Young Carer I-V), welche am 27. Juni 2019 dem Sozialausschuss vorgelegt wurden:

  1. Kompetente Ansprechpartner*innen in den Schulen für pflegende Kinder und Jugendliche benennen
  2. Jugendgerechtes Online-Informations- und Vernetzungsportal
  3. Niederschwellige psychologische Unterstützung für Young Carer schaffen
  4. Entlastung von pflegenden Kindern und Jugendlichen durch die Übernahme der Kosten haushaltsnaher Dienstleistungen
  5. Bestandsaufnahme zur Situation von Young Carer und zu den Hilfsangeboten für Kinder kranker Eltern durchführen

Leider wurde lediglich der Antrag V vom Sozialausschuss angenommen, die anderen wurden von den Regierungsparteien abgelehnt. Somit wurden gerade jene Anträge blockiert, die tatsächlich zu Verbesserungen für Young Carer hätten führen können. Dabei waren die Forderungen nicht so einschneidend, es wurde lediglich der Auftrag an das Ministerium gegeben, sich mit den Themen zu befassen, Lösungen oder Zeitrahmen hatte ich freigestellt. Das ist vor allem schade, weil die Anträge nicht mit einer inhaltlichen Begründung abgelehnt wurden, sondern in jeder Diskussion nur auf eine notwendige Bestandsaufnahme hingewiesen wurde. Meiner Meinung nach ist es für die Entwicklung konkreter Maßnahmen aber nebensächlich, wie viele Young Carer in Bayern leben. Egal ob es 30.000 oder 40.000 sind –  wir müssen die Unterstützung der jungen Pflegenden verbessern.
Ich halte die Einstellung der Regierungsparteien für fatal, weil jetzt faktisch erst einmal gar nichts passiert. Angesichts der freundlichen und unterstützenden Worte, die Lana in dem Fachgespräch von Regierungsseite entgegengebracht wurden, ist die Haltung umso unverständlicher.

Weitere Informationen:


„Care Leaver“

„Care Leaver“ sind junge Menschen, die aufgrund ihrer Volljährigkeit aus den Angeboten der stationären Erziehungshilfe rausfallen. In der Regel werden Jugendliche mit Vollendung des 18. Lebensjahres aus den Heimen, Wohngruppen oder Pflegefamilien entlassen und müssen plötzlich auf eigenen Füßen stehen. Häufig befinden sie sich noch in der Schule, in der Ausbildung oder im Studium. Genau in dieser schwierigen Phase verlieren sie ihre bisherigen Bezugspersonen. Der Anspruch auf Hilfen für junge Volljährige nach dem Kinder- und Jugendhilferecht wird häufig sehr restriktiv gehandhabt und die Angebote zur Nachbetreuung sind sehr rar gesät, zeitlich begrenzt und qualitativ unzureichend.

Auf meine Initiative hin befasste sich der Sozialausschuss im April 2019 mit der Situation der Care Leaver. Zum Fachgespräch „Hilfsangebote für Care Leaver überprüfen“ wurden Alexandra van Driesten von Careleaver e.V., einer Interessenvertretung für junge Menschen die aus der stationären Erziehungshilfe kämen, und Petra Rummel vom Landesverband der katholischen Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen in Bayern e.V. (LVkE) eingeladen.

Die beiden Expertinnen machten die Situation sehr deutlich. Beim Übergang in ein eigenständiges Leben benötigen diese jungen Menschen häufig noch Unterstützung. Sie verfügen oft nicht über stabile soziale Netze und ausreichende Ressourcen, um sofort auf eigenen Beinen stehen zu können. Nur ein geringer Teil der Kinder und Jugendlichen erhält nach Vollendung der Volljährigkeit weiterhin Leistungen der Jugendhilfe. Deshalb ist eine der zentralen Forderungen des Careleaver e.V. der Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe auch nach Vollendung der Volljährigkeit (§41 SGB VIII). Das Ende der Jugendhilfe soll nicht allein vom Jugendamt bestimmt werden. Diese Forderung haben wir als GRÜNE Landtagsfraktion in dem umfangreichen Antragspaket zur konkreten Verbesserung der Situation aufgenommen (siehe unser Antrag: Drs.18/2405 Care Leaver IV). Wir wollen „leaving care“ als eigenen Tatbestand im Kinder- und Jugendhilferecht verankern, denn dadurch würden die Hilfen für junge Volljährige und der Anspruch auf eine individuelle Übergangsbegleitung von einer Kann- zu einer Pflichtleistung.

Auch fehlen bisher konkrete Daten zur Zahl und Lebenssituation von Care Leavern in Bayern. Die Kinder- und Jugendhilfestatistik muss deshalb so ausgeweitet werden, dass sie auch die Situation von Care Leavern erfasst (siehe unser Antrag: Drs. 18/2402 Care Leaver I).

Sharepic: "Wer Geld verdient, soll es behalten dürfen!"
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Ein weiteres Problem von Jugendlichen in Einrichtungen der Jugendhilfe ist die Kostenbeteiligung, sobald sie über eigenes Einkommen verfügen. So müssen die jungen Menschen bis zu 75 Prozent ihres Einkommens aus Nebenjobs bzw. ihrer Ausbildungsvergütung als Kostenbeitrag für die Jugendhilfe abführen. Das untergräbt meiner Meinung nach die Arbeitsmotivation und schadet der Verselbstständigung der jungen Menschen: Die Jugendlichen brauchen die Möglichkeit, für den Übergang in die Selbstständigkeit Gelder ansparen zu können (siehe unser Antrag: Drs.18/2403 Care Leaver II). Deshalb fordern wir eine Höchstgrenze von maximal 50 Prozent sowie einen Freibetrag von mindestens 250 Euro im Monat.

Weiterhin brauchen die jungen Menschen nach dem Ausscheiden aus der stationären Kinder- und Jugendhilfe ein niederschwelliges Anlauf- und Beratungsangebot, welches sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt, ihnen in akuten Krisen und Notlagen hilft, sie bei der Wohnungs- und Jobsuche unterstützt sowie beim Ausfüllen von Formularen und Anträgen behilflich ist. Kompetente Ansprechpartner*innen und maßgeschneiderte Hilfsangebote sowie eine bessere Förderung von Selbstorganisationen in diesem Bereich sind wichtige Bausteine für den Übergang (siehe unser Antrag: Drs.18/2404 Care Leaver III). Ein vernünftiges Übergangsmanagement beim Übergang aus der Jugendhilfe in andere Hilfesysteme muss individuell und flexibel gestaltet werden können.

Viele Jugendliche können nicht einfach in ihre Herkunftsfamilien zurückkehren. Sie dürfen nicht dazu gezwungen werden, zur Vermeidung von Obdachlosigkeit zu den leiblichen Eltern zurückzukehren. Träger der Jugendhilfe und Wohnungsbaugesellschaften müssen stärker bei der Suche nach geeigneten Wohnungen kooperieren (siehe unser Antrag: Drs. 18/1937).

Weitere Informationen: