Informationsreise nach Tunesien, Oktober 2022

Mitte Oktober ging es für 8 Abgeordnete des Bayerischen Landtags auf eine Informationsreise nach Tunesien – es war die erste und bislang einzige Informationsreise des Ausschusses für Soziales in dieser Legislaturperiode.

Warum Tunesien? Mit Tunesien verbindet uns eine intensive Zusammenarbeit im Bereich der beruflichen Bildung. Firmen, die in Deutschland ihren Hauptsitz haben, lassen in Tunesien produzieren, z.B. van Laack und Leoni, die wir vor Ort besucht haben. Damit verbunden ist natürlich auch die Frage nach der Situation der Arbeitnehmer*innen, vor allem von Frauen und jungen Menschen ist, denn der Sozialausschuss ist nicht nur für das Thema „Arbeit“ zuständig, sondern eben auch für Themen, die junge Menschen und Frauen betreffen. Und natürlich interessierte uns die Frage, wie wir dazu beitragen können, die junge Demokratie zu stärken, in einer politisch schwierigen Situation, nachdem Präsident Said das Parlament kürzlich entlassen hat und präsidiale Dekrete und Maßnahmen zu einer Aushöhlung der Demokratie führen, hin zu einer Autokratie.

Runder Tisch mit politischen Stiftungen

Der erste Termin fand gleich am Abend nach der Ankunft statt; wir trafen uns zum „Runden Tisch“ mit Vertreter*innen der in Tunesien ansässigen politischen Stiftungen.

Mit dem ständigen Vertreter der Botschaft, Herrn Georg Felsheim, und den Vorsitzendenduo unseres Ausschusses.

Seitens der Botschaft waren der ständige Vertreter der deutschen Botschaft, Herr Georg Felsheim, und der Sozialreferent, Herr Boris Karthaus, dabei. Themen waren die aktuelle politische Lage in Tunesien: Präsident Said hat im März das Parlament aufgelöst. Schon acht Monate vorher hatte er das Parlament vom Dienst „suspendiert“, dieses hatte sich dann aber darüber hinweggesetzt und zu einer virtuellen Sitzung zusammengefunden und darin die Rücknahme der seither vom Präsidenten angeordneten Maßnahmen beschlossen. Daraufhin eskalierte der Streit in der vom Präsidenten angeordneten Auflösung des Parlaments. Präsident Said regiert seit der Suspendierung des Parlaments per Dekret. Die Arbeit der verschiedenen politischen Stiftungen in diesem Umfeld ist schwierig, die zukünftige Entwicklung der jungen Demokratie in Tunesien ist ungewiss.  

Besuch von “Van Laack” und den Arbeitgeberverbänden

Gespräch mit UTICA – Arbeitgeberverbände

Am Montag besuchten wir die beeindruckende Fertigungsstätte „van Laack“ in Bizerte. „Van Laack“ ist ein deutsches Textilunternehmen, das vier Standorte in Tunesien hat und dort hochwertige Kleidung, zum Teil in Maßanfertigung, herstellt. Wir sprachen mit dem Betriebsleiter Herrn Ghazi El Biche, der auch Sprecher der Textilindustrie ist. Von dort aus ging es weiter zur Handwerkerschule in Soliman Tunis. Dort werden im Auftrag des Bildungswerks der Bayerischen Wirtschaft Mitarbeiter*innen in technischen Berufen geschult. Weiter ging es zu einem Gespräch mit Arbeitgeberverbänden, für die die aktuelle politische Situation und die damit verbundene Unsicherheit nicht einfach ist. Mit dabei war auch der Generalsekretär der UTICA, Herrn Samir Majoul. „UTICA“ steht für „Union Tunisienne de l’Industrie, du Commerce et de l’Artisanat“.

Empfang in der deutschen Botschaft

Am Dienstagabend, bei einem Empfang beim deutschen Botschafter in Tunis, Herrn Peter Prügel, kam ich ins Gespräch mit zwei klugen und welterfahrenen tollen Frauen: der 86jährigen Mutter des Botschafters und der Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Tunis. Wir redeten über Wasserknappheit in der Region, über (un)demokratische Systeme und die Situation der jungen Menschen in Tunesien, die oft trotz einer sehr guten Ausbildung keine adäquate Ausbildung finden. Und deswegen nur noch weg wollen. Letzteres war den ganzen Tag über Thema, auch beim Gespräch mit dem Minister für Berufsbildung und Beschäftigung, Herrn Nasreddine Nsibi, den Fachkräften der Arbeitsagentur ANETI im Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration mit der Generaldirektorin, Frau Farihane Korbi Bousaffara und Frau Stephanie Schrade von der GIZ.

Im Goethe Institut ging es u.a. darum, dass die Rahmenbedingungen für erfolgreiches Deutschlernen sehr schwierig sind: wer „nebenbei“ Vollzeit arbeiten muss und nur ein Handy, aber keinen Laptop hat, tut sich auch bei viel Engagement und viel gutem Willen schwer. Mit vor Ort waren Frau Andrea Jacob, Institutionsleitung, und Frau Amel Said, Leiterin der Sprachabteilung zur Situation der Frauen in Tunesien, Projekte der Ta’ziz Partnerschaft und berufsbezogene Deutschkurse.

Perspektiven auf die Wirtschaft Tunesiens

Am Donnerstag fuhren wir knapp 200 km südwärts, um den dortigen Standort der Firma “Leoni” in Manzel Hayet in Monastir, die Kabel- und Bordnetzsysteme herstellt, zu besichtigen und mit dem geschäftsführenden Direktor Herrn Mohamed Larbi Rouis, sowie Betriebsleitung, Abteilungsleiter*innen und Mitarbeiter*innen ins Gespräch zu kommen. Für den Bau der komplizierten Verkabelungssysteme sind inzwischen knapp 23.000 Mitarbeiter*innen eingestellt, viele davon haben ein (Ingenieurs)Studium bzw. sind promoviert. Die Firma “Leoni” legt – ebenso wie „van Laack“ Wert auf Gesundheitsförderung. Brustkrebsfrüherkennung ist ebenso Thema wie Finanzierung der medizinischen Behandlung bei einer Krebserkrankung.  

Am Freitag ging es zu einem Treffen mit dem Gewerkschaftsdachverband UUGTT, u.a. dem Generalsekretär Herrn Noureddine Tabboubi. Mit ihm kamen wir u.a. über Steuerpolitik ins Gespräch, nämlich die Frage, wie Tunesien, ein Land mit viel Potenzial, bei aktuell stark steigenden Preisen seine Haushaltssituation verändern könne.  Ein Punkt war natürlich die Frage, wie man zu adäquaten Steuererklärungen kommen könne, denn dass z.B. Privatärzt*innen und Rechtsanwält*innen oft weniger Einnahmen versteuern als Krankenhausärzt*innen und Jurist*innen im öffentlichen Dienst, erscheint nicht richtig.

Mit einer Großzahl an Beschäftigten im „informellen“ Sektor, ist es schwierig, an Steuereinnahmen zu kommen, die wiederum wichtig für Investitionen der Regierung sind. Bleiben die aus, werden viele junge Tunesier*innen weiterhin den Weg ins Ausland gehen.