Kann eine Geldstrafe nicht eingetrieben werden, können die Vollstreckungsbehörden eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB anordnen. Ein solcher Gefängnisaufenthalt, der ja nicht durch das Gericht vorgesehen ist, gefährdet das soziale Umfeld der Betroffenen durch die akute Gefahr des Verlustes der Wohnung oder des Arbeitsplatzes. Außerdem sind Geringverdienende übermäßig oft nicht in der Lage, Geldstrafen zu zahlen und dadurch eher durch eine Ersatzfreiheitsstrafe gefährdet. Zudem entsteht durch Ersatzfreiheitsstrafen ein großer Arbeitsaufwand in den Justizvollzugsanstalten – und das bei Gefangenen, die eigentlich gar nicht für die Resozialisierungsmaßnahmen des Vollzugssystems gedacht sind. Da durch die Ersatzfreiheitsstrafe die eigentliche Geldstrafe als abgegolten gilt, verzichtet der Staat nicht nur auf potentielle Einnahmen, sondern zahlt für die unnötigen Hafttage Millionenbeträge.
Sehr problematisch ist in diesem Zusammenhang die Einstufung des Schwarzfahrens als Straftat (§ 265a StGB Erschleichen von Leistungen). Diejenigen, die sich kein eigenes Fahrzeug leisten können und zudem zu wenig Geld haben, sich eine Fahrkarte zu kaufen, aber dennoch mobil sein müssen, werden doppelt bestraft. Sie begehen aus der Not heraus eine Straftat, die zwar nur mit einer Geldstrafe geahndet wird, für deren Begleichung sie aber kein Geld haben und deshalb trotzdem sitzen müssen. Die Ersatzfreiheitsstrafe, kombiniert mit diesem Straftatbestand kann man zusammenfassen als: Knast für Arme.
Die Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafen geht in Bayern tendenziell zurück. Laut Bericht der Passauer Neuen Presse vom 13.1.2022 führten die Programme “Schwitzen statt Sitzen” und “Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen” in Bayern im Jahr 2020 zur Vermeidung von 41.000 Hafttagen. Demgegenüber wurden jedoch zwischen 2005 und 2016 allein mit dem Programm “Schwitzen statt Sitzen” durchschnittlich 75.000 Hafttage jährlich vermieden (vgl. Antwort 4.3 zur Landtagsdrucksache 17/23056). Die Staatsregierung hat sich bisher zudem allen Initiativen verweigert, um die soziale Schieflage in diesem Bereich grundsätzlich zu beenden.
2016 wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten – Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gem. § 43 StGB“ eingesetzt. Der Abschlussbericht dieser Arbeitsgruppe wurde bei der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Juni 2019 von diesen zur Kenntnis genommen. Diese stellten zudem fest, dass der Bericht eine geeignete Grundlage sei, um weitere Möglichkeiten der Vermeidung bzw. Vollstreckung von Ersatzfreiheiten in den Ländern voranzubringen. Zudem plant die neue Bundesregierung, den Sinn von Ersatzfreiheitsstrafen grundlegend zu überprüfen und historisch überholte Straftatbestände zu streichen. Es ist diesbezüglich mit einer entsprechenden Reform der Gesetzeslage zu rechnen.
Vor diesem Hintergrund stellten mein Kollege Toni Schuberl und ich eine Schriftliche Anfrage an die Staatsregierung.
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